Texas: Wo das Bier nach Heu schmeckt

Saures Bier mit Kuhstall-Aroma – wer soll sowas trinken? Jeder, der eine spannende Geschmackswelt jenseits des Reinheitsgebots kennenlernen will. Im US-Staat Texas wagen Brauer die interessantesten Experimente.

Neue Westfälische, 2. Februar 2019

Diesen Bericht gibt es, angereichert mit vielen persönlichen Erlebnissen, auch als Episode des Reisepodcasts.

Brauer Nathan Rice macht saures Bier – und das ganz bewusst

Die Geschichte mit dem Gurkenglas muss der Braumeister Nathan Rice immer wieder erzählen. Vor ein paar Jahren brachte sein Chef, der Brauereibesitzer, ein aufgebrauchtes Glas Gurken mit. Nur das Wasser war noch drin. Und das, sagte der Chef, tun wir jetzt in unser Bier. Gesagt, gebraut. Heute ist das Bier mit dem sperrigen Namen „Pkl Fkr“ eins von acht im Ausschank eines winzigen Häuschens am Rande der Innenstadt von New Braunfels im Süden von Texas, dem Sitz der New Braunfels Brewing Company. Da kommen die Leute hin, um ihr Gurkengebräu zu trinken.

„Wir sind das Gegenteil einer normalen Brauerei. Wir tun alles Mögliche in unser Bier“, sagt Rice. Für den 40-jährigen, einen ganzen Kerl mit Wikingergenen, ist die Brauerei so etwas wie sein persönliches Experimentierlabor. Hier lässt er Hefe aus Sporen gären, die in der Luft umherschwirren. Das Ergebnis ist saures Bier. Nicht eklig-sauer, sondern mit feinen Anklängen an Wein. „Das ist die älteste Art der Herstellung. So haben es die Menschen früher gemacht“, sagt Rice. Für eine andere Sorte lässt er den Sud durch einen Filter aus Heu von einem Bauernhof laufen. Das schmeckt dann etwa so, wie ein Kuhstall riecht. Mit einer großen Überraschung: Es ist tatsächlich lecker.

Schäumende Schätze

So wie in New Braunfels wird in ganz Texas mit fast kindlicher Experimentierfreude vergärt, gehopft und gemaischt. In dem Staat, der einst in Scharen von Deutschen besiedelt wurde, wird das urteutonische Getränk Bier derzeit neu erfunden. Verantwortlich sind Kleinstbrauereien mit wenigen Angestellten, aber viel Erfindergeist. Ihre Kreationen, Craft Beer genannt, sind selten außerhalb von Texas erhältlich, viele auch nur in den Schankräumen, in denen alle Brauer in direkter Nachbarschaft zu den Gärbottichen voller Stolz ihre schäumenden Schätze servieren – für Besucher mit Hang zum Genuss ein Muss.

Bei der Brauerei Guadalupe sind gleich 22 Biere im Ausschank, alle frisch gebraut in einer Halle hinter dem firmeneigenen Schankraum. Geschmacksrichtungen: Honig, Kürbis, Erdnussbutter – aber auch Pils und Kölsch. „Wir wechseln ständig durch. Das ist sehr anstrengend“, sagt Anna Kilker. Die 57-Jährige betreibt das Brauhaus zusammen mit ihrem Mann Keith. Wie die meisten Kleinbrauer sind die beiden Autodidakten, Keith war zuvor Techniker auf einer Ölplattform. Das erste Bier brauten sie 2012 in einem alten Milchtank, „das ist alles Do-it-yourself. Wir haben seitdem so viel gelernt.“

Kampf gegen Konzerne

Die Sortenvielfalt ist das Markenzeichen der texanischen Brauer-Szene

Nun kämpfen sie Tag für Tag für ihre Interpretation eines Handwerks, das besonders in den USA von einigen wenigen Konzernen dominiert wird. „Wir haben das Glück, dass wir nicht auf einen Investor hören müssen, der uns sagt, wir müssten unser Bier verwässern, damit es den Massengeschmack besser bedient. Und wenn wir deshalb irgendwann zumachen müssen, dann ist es halt so.“

Während sie das sagt, klebt ihr Mann den Boden mit Klebeband ab, er will ihn mit roter Farbe streichen. Bald sollen hier noch mehr Tische für die Gäste hin. Brauer haben immer etwas zu tun – nur nicht mit dem guten alten Reinheitsgebot, das in Deutschland klare Grenzen bei den Zutaten setzt: Wasser, Malz, Hopfen und Hefe. Amerikanische Bier-Kreateure haben mehr Freiheiten. Zu den Überraschungen gehört, dass dabei keine limonadenartige Brause herauskommt, sondern handwerklich solide Biere, deren Ursprung klar erkennbar bleibt – wohl auch, weil die meisten Brauer auf natürliche Aromen setzen statt auf Stoffe aus dem Chemiekasten der Lebensmittelindustrie.

So viele Möglichkeiten machen die Vielfalt schier endlos. Ein Besuch in der Metropole Fort Worth, gelegen in Nordtexas, darf als nicht komplett gelten, wenn man dabei nicht einen der unzähligen „Tab rooms“ der Klein- und Kleinstbrauereien besucht hat, die über das Stadtgebiet gesprenkelt sind. Praktisch überall kann man sein Bier auch als sogenannten Flight bestellen, ein Holzbrett mit mehreren kleinen Gläsern – damit man sich schneller durch mehrere Sorten probieren kann.

Kein leichtes Geschäft für Brauer

Die Metropole Texas ist besonders nachts beeindruckend – und hat mehr zu bieten als ihre ausladende Architektur

Der Tab room von Community Brewing im benachbarten Dallas ist allerdings nicht so einfach zu finden. Die Mitarbeiter von Gründer Kevin Carr bereiten sich noch auf den Ansturm durstiger Großstadtbewohner vor, der Weg führt über eine Laderampe. Community Brewing gehört heute zu den größten Craft-Beer-Brauereien in Texas, beschäftigt 30 Angestellte. Carr sagt, er habe das alles kommen sehen: „Ich wusste, dass das Craft-Beer-Geschäft in Dallas explodieren wird.“ Also machte er, der Software-Entwickler und Hobby-Brauer, vor sechs Jahren ein Geschäft daraus, betrieb Marktforschung und setzte Hefen an – für jedes Bier eine andere.

Dabei musste er mit den texanischen Alkoholgesetzen kämpfen, die bisweilen arg puritanisch formuliert sind. In mehreren Landkreisen ist der Verkauf von Bier, Wein oder Schnaps komplett verboten. „In Texas ist es schwerer als in anderen Staaten“, sagt Carr.

Doch Verbote sind das eine, die Kultur das andere. Hier hätten die Menschen Spaß daran, viele ungewöhnliche Gebräue zu probieren, beim Bier kämen sie alle zusammen, Alt und Jung, Arm und Reich: „Bier ist der kleinste gemeinsame Nenner.“ Auch, wenn es nach Gurke schmeckt.