Trauer auf Türkisch

Wenn Muslime sterben, ist spezielles Wissen gefragt – deutsche Bestatter stoßen hier schnell an ihre Grenzen. Familie Balçok aus Essen führt ein islamisches Bestattungsinstitut. Früher kümmerten sie sich vor allem um Überführungen in die alte Heimat, jetzt organisieren sie immer mehr Beerdigungen in Deutschland.

WDR 5, Wirtschaftssendung “Profit”, 31. Oktober 2011

Beitrag zum Nachhören:

Türkische BestatterEine männliche Stimme trägt das islamische Totengebet Salat al Janaza vor.

Blumen, Kerzen und Musik – was für Mitteleuropäer ganz selbstverständlich zu einer Beerdigung gehört, hat auf einer islamischen Bestattung nichts zu suchen. Dort soll nichts vom Verstorbenen ablenken, ist die Trauerhalle nicht geschmückt und nur das Totengebet des Imam zu hören. Er ist es auch, der sich bei den Hinterbliebenen erkundigt, ob der Verstorbene auf Erden keine offenen Rechnungen hinterlassen hat. Nach muslimischem Glauben findet er sonst nicht den Weg ins Himmelreich. Und das mit den offenen Rechnungen sei wörtlich zu nehmen, erklärt Bestatter Mehmet Balçok:

Mehmet Balçok: Vor der Beisetzung ist der Imam verpflichtet, die Angehörigen, Verwandten und Freunde um Vergebung für den Verstorbenen zu bitten. Es wird dreimal hintereinander gefragt, ob der Verstorbene Schulden hatte bei den Anwesenden und wenn die ganzen Leute eben sagen “wir vergeben, er hat keine Schulden bei uns”, so wird dann die Beisetzung durchgeführt.

Muslime achten auf Rituale

Das Essener Bestattungsinstitut „Gurbet“ ist auf islamische Beisetzungen und Überführungen spezialisiert. „Gurbet“ bedeutet soviel wie „in der Fremde“. Müzeyyen und Ibrahim Balçok haben das Unternehmen im Jahr 1989 gegründet. Damals stießen sie in eine große Marktlücke, weil viele deutsche Bestatter sich mit den islamischen Trauerriten nicht auskannten,  sagt die 48-jährige Müzeyyen Balçok:

Müzeyyen Balçok: In der islamischen Bestattung sind einige Regeln beziehungsweise Rituale, die schon wichtig für die Gläubigen sind. Zum Beispiel die Waschung und das Gebet müsste schon geführt werden, und die deutschen Firmen hatten eben diese Möglichkeit nicht.

Bei der Waschung muss vieles beachtet werden. An dem Ritual muss ein Imam teilnehmen. Außerdem dürfen Männer nur von Männern, Frauen nur von Frauen gewaschen werden. Der Schambereich des Toten muss mit einem Tuch bedeckt sein. Ob deutsche Bestatter das alles beachten, da waren muslimische Migranten immer skeptisch. Es kursieren Geschichten über deutsche Beerdigungsinstitute, die respektlos mit den Toten umgegangen sein sollen:

Müzeyyen Balçok: Das haben wir öfters auch mitbekommen. Einer hat sogar erzählt, da war eine Mutter, die verstorben war. Im Krankenhaus wurde sie abgeholt von einer deutschen Firma. Sie wurde einfach an den Beinen festgehalten und, ohne Bedeckung, einfach mit den Beinen in den Sarg hineingezerrt. Und das war schon etwas sehr hart.

Leben mit den Toten

Die Balçoks wollten es anders machen – schließlich sind sie selbst Muslime. Ibrahim Balçok hat sogar Theologie in der Türkei studiert, war zehn Jahre Imam in einer Essener Moschee. In Essen lernte er dann auch seine Frau Müzeyyen kennen, die als Dolmetscherin arbeitete. Am Anfang holten die beiden Unternehmer die Toten noch selbst ab, wuschen sie, legten sie in den Sarg zur Überführung. Vom Geschäft mit den Toten konnten sie da noch nicht leben:

Müzeyyen Balçok: Ja, es gab schon Zeiten, wo wir wirklich nichts verdient haben, sondern noch zulegen mussten. Plötzlich war man ein Geschäftsmann und der Geschäftsbereich hat vieles verlangt: Kaufmännisches Wissen haben die verlangt, Rechtliches musste da sein, behördliche Angelegenheiten mussten beachtet werden. Das hat uns alles gefehlt. Auch Steuer- und Finanzamtsangelegenheiten.

Mittlerweile führt ihr 30-jähriger Sohn Mehmet die Geschäfte. Mit acht Mitarbeitern kümmern sich die Balçoks jedes Jahr um rund 300 Sterbefälle. Heute sind vor allem Bestattungen in Deutschland gefragt: Auf dem Essener Friedhof “Am Hallo” hat die Stadt die Fläche für muslimische Gräber kürzlich verdoppelt. In den vergangenen 30 Jahren sind dort 2.700 Muslime begraben worden – die meisten übrigens im Sarg, auch wenn das Bestattungsgesetz die Beerdigung im Tuch mittlerweile erlaubt. Doch auch Überführungen sind immer noch ein wichtiger Teil der Arbeit des Bestattungsinstituts. Dann muss ein Bestatter auf einmal ganz andere Talente entfalten: im Umgang mit der Bürokratie nämlich, sagt Mehmet Balçok:

Mehmet Balçok: Wenn man einen Leichnam überführen möchte ins Ausland, muss hier ein zweiter Amtsarzt eine zweite Leichenschau durchführen, damit überhaupt der Leichenpass gegeben wird für die Überführung. Und das ist leider nur hier in Nordrhein-Westfalen so und das ist sehr schwierig für uns, weil man meistens nicht am gleichen Tag einen Termin kriegt. Deswegen verlieren wir dadurch sehr viel Zeit.

Problematisch ist das, weil Muslime möglichst schnell nach dem Tod begraben werden sollen – wenn keine triftigen Gründe vorliegen, innerhalb von 24 Stunden. Doch nicht nur Papierkram beschäftigt die Balçoks. Oft müssen sie auch auf die Schnelle noch Flugtickets organisieren – denn fast immer wollen Angehörige des Toten mitfliegen. Also machten die Bestatter aus dem Zusatzservice kurzerhand noch ein zweites geschäftliches Standbein. Drei Jahre nach dem Beerdigungsinstitut eröffneten sie im Ladenlokal nebenan ein weiteres Unternehmen: ein Reisebüro mit dem Schwerpunkt Türkeireisen.